Vaterschaftsanfechtung

Schätzungen zufolge hat in der Bundesrepublik Deutschland jedes 10. Kind einen anderen Vater als denjenigen, der sich für den Vater hält. Letztere werden als „Scheinväter“ bezeichnet, die betroffenen Kinder werden „Kuckuckskinder“ genannt.

Gewissheit über die Vaterschaft bringen sogenannte Vaterschaftstests per DNA-Untersuchung. Deren Sicherheit wird mit bis zu 99,9% beziffert. Die emotionalen Folgen für die Betroffenen – sowohl Kinder als auch Scheinväter – sind oft fatal. Daneben stehen die rechtlichen Auswirkungen mit Fragen, wie z. B. sich die Feststellung einer nur vermeintlichen Vaterschaft auf Unterhaltszahlungen auswirkt oder aber ob geleistete Unterhaltszahlungen in der Vergangenheit zurückgefordert werden können.

In früheren Jahren las man in der Presse oft von Vätern, die bei Zweifel mittels einer Haarprobe oder mittels der DNA auf der Zahnbürste des Kindes heimlich einen Vaterschaftstest durchführten, um sich Gewissheit über ihre Vaterschaft zu holen. Seit Geltung des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) im Jahr 2010 dürfen keine „heimlichen“ Vaterschaftstests mehr vorgenommen werden. Wird dennoch ein solcher Test durchgeführt, drohen Bußgelder bis zu 5.000,-- €. Die DNA-Analyse zur Vaterschaftsklärung setzt die vorherige Zustimmung der Kinder bzw. der Mutter voraus, falls das Kind noch nicht wirksam zustimmen kann. Wird die Einwilligung verweigert, bleibt der Weg zum Gericht, da dieses die Einwilligung erteilen kann. In der Regel erteilen Familiengerichte auch diese Einwilligung, es sei denn, dass Wohl eines noch minderjährigen Kindes wäre durch den Test erheblich gefährdet.

Der DNA-Test dient zunächst nur der Ermittlung der genetischen Abstammung. Dies bedeutet, er stellt mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 99,9 % fest, ob der Mann der biologische Vater des Kindes ist. Damit ändert sich jedoch nichts „automatisch“ an der Vaterschaft des Mannes, auch wenn sich aus dem Gentest ergibt, dass er nicht der Vater des Kindes ist. Um auch eine Änderung in der juristischen Situation herbeizuführen, ist die juristische An- oder Aberkennung einer Vaterschaft notwendig, es bedarf also einer Vaterschaftsanfechtungsklage. Vor Gericht wird ein Vaterschaftstest dabei lediglich als Indiz für eine Vaterschaft oder ihre Widerlegung gewertet.

Wer kann eine Vaterschaftsanfechtungsklage erheben?
Wer gesetzlich als Vater gilt, weil er mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder die Vaterschaft anerkannt hat (§ 1600 BGB), kann die Vaterschaft gerichtlich anfechten mit einer sogenannten Vaterschaftsanfechtungsklage. Besonders wichtig bei der Erhebung einer solchen Vaterschaftsanfechtungsklage ist die einzuhaltende Klagefrist. Eine entsprechende Vaterschaftsanfechtungsklage muss innerhalb von
2 Jahren erhoben werden, nachdem der gesetzliche Vater von Umständen Kenntnis erlangt hat, die gegen einer Vaterschaft sprechen. Es muss vor Gericht schlüssig dargelegt werden, warum die Vaterschaft angezweifelt wird. Dies können neben dem Ergebnis eines Vaterschaftstestes auch die Kenntnis von einem „Seitensprung“ der Frau oder die Darlegung einer Zeugungsunfähigkeit sein. Dahingegen reichen bloße Vermutungen oder Zweifel, z. B. wegen der fehlenden Ähnlichkeit des Kindes mit dem Vater, regelmäßig nicht aus. Wenn das Gericht festgestellt hat, dass ein vermeintlicher Vater nicht der biologische Vater des Kindes ist, entfallen die Rechtsfolgen der Vaterschaft, z. B. Unterhaltsverpflichtungen pp.

Erfährt ein Mann, dass er nicht der biologische Vater des Kindes ist und kann eine Vaterschaftsanfechtungsklage mit Erfolg durchführen, so stellt sich für diesen das nächste Problem:
Oft haben diese Väter über Jahre Unterhalt gezahlt oder Unterhaltsleistungen für das vermeintlich eigene Kind erbracht. In vielen Fällen möchten solche Väter das Geld, das sie im Glauben an die eigene Vaterschaft für das Kind aufgebracht haben, zurückfordern, um zumindest den finanziellen Schaden auszugleichen.

Ansprüche gegen das Kind bestehen regelmäßig nicht, da Unterhaltszahlungen für laufende Kosten des Kindes verbraucht worden sind und daher nicht zurückgefordert werden können.

Schadenersatzansprüche gegen die Mutter sind möglich. Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass der Mutter nachgewiesen werden kann, dass sie von der Möglichkeit der Vaterschaft des „Dritten“ gewusst hat. Auch wenn diese Voraussetzung erfüllt sein sollte, wird der Nachweis in den meisten Fällen nur schwer zu führen sein.

Als dritter Anspruchsgegner kommt der biologische Vater in Betracht. Hier stellt sich bereits das erste Problem, das in vielen Fällen der Scheinvater nicht weiß, wer der „wirkliche“ Vater ist. Dies weiß in den meisten Fällen, aber auch nicht immer, die Mutter des Kindes.

Es stellt sich also die Frage, ob der Scheinvater gegen die Mutter des Kindes einen Auskunftsanspruch besitzt.
Bis zum Februar 2015 hat der Bundesgerichtshof (BGH) einen Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter über die Vaterschaft eines „Kuckuckskindes“ zur Vorbereitung eines Unterhaltsprozesses bejaht (vergleiche BGH, Urteil vom 09.11.2011, Az. XII ZR 136/09). Dem hat das Verfassungsgericht nun vorerst einen Riegel vorgeschoben, da der vom BGH angenommene Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter diese in ihrem Persönlichkeitsrecht verletze. Ein Auskunftsanspruch setze daher eine gesetzliche Regelung voraus. Eine solche Regelung fehle aber bisher und könne nicht, so die Verfassungsrichter durch die Gerichte im Wege der Rechtsfortbildung angenommen werden. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24.02.2015, Az. 1 BvR 472/14) hat für die Scheinväter die bittere Folge, dass diese von der Mutter keine Auskunft über die Vaterschaft verlangen können, solange der Bundestag keine entsprechende gesetzliche Regelung schafft.

Wenn die Mutter angibt, dass sie sich nicht mehr an die Identität des Erzeugers erinnern könne, so scheidet der Schadenersatzanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter wegen im Glauben an die vermeintliche Vaterschaft geleisteter Unterhaltszahlungen aus. In diesem der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 20.02.2013, Az. XII ZB 412/11) zugrundeliegenden Fall hatte der Vater 40 Jahre nach der Geburt des Sohnes und zwischenzeitlicher Scheidung der Ehe seine Vaterschaft angezweifelt und Vaterschaftsklage erhoben. Die Zweifel an der Vaterschaft bestätigten sich, Ersatz für seine Unterhaltszahlungen erhielt er aber nicht.

Anders verhält sich der Fall, wenn die Mutter mit der Möglichkeit rechnet, dass das Kind von einem anderen ist, dem Mann also ein „Kuckuckskind“ unterschiebt. Dies kann zu einer erheblichen Absenkung des nachehelichen Ehegattenunterhalts führen. Ein ausdrückliches Leugnen durch die Mutter oder ein „Anlügen“ ist dafür nicht erforderlich. Es reicht für eine Kürzung der Unterhaltspflicht wegen „grober Unbilligkeit“ aus, wenn die Mutter an der Vaterschaft zweifelt und dem Mann diese Unsicherheit nicht mitteilt. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (Urteil vom 15.02.2012, Az. XII ZR 137/09) hatte der vermeintliche Vater seine Lebensplanung und seine berufliche Entwicklung zugunsten der Pflege des geistig-behinderten Kindes zurückgestellt.

Vorstehende Ausführungen belegen, dass eine Vaterschaftsanfechtung in jeder Hinsicht wohl überlegt sein muss. Zum einen führt die Erkenntnis, nicht der leibliche Vater des Kindes zu sein, emotional sowohl beim Scheinvater als auch beim Kind zu hohen Belastungen. Scheinväter müssen wenn sie eine gerichtliche Klärung der Vaterschaft herbeiführen möchten, vor allem auch die 2-Jahresfrist einer Vaterschaftsanfechtung seit Kenntnis der die Zweifel begründenden Umstände beachten und einhalten. Jedoch ist von der Einholung heimlicher Gutachten abzuraten!

Ist nachgewiesen, dass es sich bei dem Mann lediglich um den Scheinvater handelt – also er nicht der biologische Vater des Kindes ist – so sind aus den dargestellten Gründen die Rückforderung von Unterhalt oder Schadenersatz beschränkt. Hier bleibt abzuwarten, ob Gericht und Gesetzgebung zukünftig hin für eine Klärung sorgen werden.

Haben Sie Fragen zu diesem Thema? Dann nehmen Sie bitte hier Kontakt auf oder rufen sie unter Telefonnummer 0261/914 599-25 an.



Eingestellt am 11.03.2016 von N. Thönnes
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