OLG Koblenz: Wer haftet, wenn Jugendamt Kinder fälschlicherweise aus der Familie holt?

Ein Jugendamt beauftragte eine an der Uni-Klinik Mainz praktizierende Rechtsmedizinerin mit der Erstellung eines Gutachtens. Diese sollte eine Begutachtung dahingehend vornehmen, ob bei den Kindern einer Familie festgestellte Auffälligkeiten auf eine mögliche Kindesmisshandlung zurückzuführen seien. Das Gutachten wurde erstellt und äußerte den Verdacht der Kindesmisshandlung. Hierauf stützend beantragte das zuständige Jugendamt beim Familiengericht mit Erfolg den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wonach diesem das Aufenthaltsrecht für beide Kinder vorläufig übertragen werden sollte.

Über ein halbes Jahr waren die beiden damals 7 und 18 Monate alten Kinder in der Folgezeit bei Pflegefamilien untergebracht. Spätere Gutachten gelangten jedoch zu dem Ergebnis, dass die festgestellten Auffälligkeiten Folge einer Erbkrankheit waren.

Die Kindeseltern als Kläger machten erstinstanzlich vor dem Landgericht Mainz Schmerzensgeldansprüche sowohl gegenüber der Uni-Klinik als auch der Beklagten als Verfasserin des fehlerhaften Gutachtens geltend. Das Landgericht Mainz gab der Klage gegen die Rechtsmedizinerin statt mit der Begründung, die unmittelbar vom Jugendamt beauftragte Medizinerin hafte für das grob fehlerhafte und den wissenschaftlichen Standards nicht entsprechende Gutachten auch persönlich. Gegen die Uni-Klinik hätten die Kläger keinen Anspruch, da diese nicht selbst vom Jugendamt beauftragt worden sei.

Gegen diese Entscheidung legte die Rechtsmedizinerin Berufung ein, weil sie der Auffassung war, dass sie weder vorsätzlich noch fahrlässig eine Fehleinschätzung vorgenommen habe und für etwaige Fehler des im Auftrag des Jugendamtes erstellten Gutachtens nicht persönlich hafte.

Am 18.03.2016 hat das Oberlandesgericht Koblenz festgestellt, dass die beklagte Sachverständige grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstellt habe. Die Gutachterin habe insbesondere greifbare Alternativursachen für die bei den Kindern festgestellten Auffälligkeiten, wie den erblich bedingten sogenannten „Wasserkopf“ und einen vorangegangenen Verkehrsunfall ohne tragfähige Begründung kategorisch und ohne Vorbehalt ausgeschlossen. Dabei habe sie sich auch fachfremde Kompetenz, wie eine Unfallanalyse angemaßt. Dies stelle eine grob fahrlässige Außerachtlassung gutachterlicher Sorgfaltspflichten dar.

Aufgrund der Fehlerhaftigkeit des Gutachtens sei den Eltern vom zuständigen Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder vorläufig entzogen und die Kinder vorübergehend bei Pflegeeltern untergebracht worden. Jedoch hafte für das grob fahrlässig erstellte unrichtige Gutachten nicht die Sachverständige persönlich, sondern der Landkreis als Träger des die Sachverständige beauftragenden Jugendamtes.

In Ausübung seiner Wächterfunktion über das Kindeswohl habe das Jugendamt die Sachverständige im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages als externe Fachkraft hinzugezogen und seinen beim Familiengericht gestellten Schutzantrag auf deren Gutachten gestützt. Daher habe die Sachverständige bei ihrer Gutachterstellung in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt, sodass sie für ihr grob fahrlässig erstelltes unrichtiges Gutachten nicht persönlich einzustehen habe, sondern die Körperschaft, die sie beauftragt hat.
OLG Koblenz, Urteil vom 18.03.2016, 1 U 832/15

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Eingestellt am 12.04.2016 von N. Thönnes
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